249 Ornament

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ORNAMENT
ORNAMENT


... sind die Gebäude und Gärten fertig, die Wände, Pfeiler, Fenster, Türen und Bodenbeläge vorhanden, die Grenzen, Ränder und Übergänge bestimmt - HAUPTEINGANG (110), GEBÄUDEKANTE (160), VERBINDUNG ZUM BODEN (168), GARTENMAUER (173), DER PLATZ AM FENSTER (180), TÜREN IN DEN ECKEN (196), GERAHMTE ÖFFNUNGEN (225), DER PLATZ AM PFEILER (226), SICHTBARE AUSSTEIFUNG (227), DACHAUFSÄTZE (232), WEICHE INNENWÄNDE (235), SITZMAUER (243) und so weiter -, dann ist es Zeit, letzte Hand anzulegen, die Lücken zu füllen, die Grenzen hervorzuheben - durch Ornament.


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Alle Menschen neigen von Natur aus dazu, ihre Umgebung auszuschmücken.


Aber Verzierungen und Ornamente funktionieren nur dann, wenn sie richtig gemacht sind: Ornamente und Verzierungen entstehen nämlich nicht nur aus dem natürlichen Überschwang und dem Hang zu etwas Fröhlichem im Gebäude; sie erfüllen auch eine Funktion, die so klar und eindeutig ist wie jede andere Funktion in einem Gebäude. Die Freude und der Reichtum von Formen und Farben wird nur dann wirksam, wenn sie im Einklang mit dieser Funktion stehen. Bei dieser Funktion handelt es sich zudem um eine Notwendigkeit - Ornamente sind nicht nur Beiwerk, das ganz nach Belieben oder Stimmung angebracht werden kann oder nicht - sie sind für das Gebäude erforderlich wie Türen und Fenster.


Um die Funktion des Ornaments zu verstehen, muss man zunächst das Wesen des Raumes verstehen. Richtig gestalteter Raum ist ein Ganzes. Jeder Teil darin, jeder Teil einer Stadt, einer Nachbarschaft, eines Gebäudes, eines Gartens oder eines Zimmers ist ein Ganzes: Er ist sowohl eine vollständige Einheit für sich, als auch zugleich mit anderen Einheiten verbunden und ein größeres Ganzes bildend. Das Zustandekommen dieser Ganzheit hängt weitgehend von den Grenzen ab. Nicht zufällig handeln derart viele Muster in dieser Muster-Sprache von Grenzen zwischen Dingen als Stellen, die so wichtig wie die Dinge selbst sind - z. B. SUBKULTUR-GRENZE (13), NACHBARSCHAFTSGRENZE (15), ARKADEN (119), GEBÄUDEKANTE (160), DIE GALERIE RUNDHERUM (166), VERBINDUNG ZUM BODEN (168), DURCHBROCHENE WAND (193), DICKE WÄNDE (197), GERAHMTE ÖFFNUNGEN (225), SCHMALE DECKLEISTE (240), SITZMAUER (243).


Ein Ding ist nur dann ein Ganzes, wenn es für sich vollständig und zugleich mit seiner Umgebung verbunden ist, um so ein größeres Ganzes zu bilden. Das ist aber nur möglich, wenn die Grenze zwischen beiden dick, gehaltvoll und nicht eindeutig zuweisbar ist, sodass die beiden nicht scharf voneinander getrennt sind, sondern entweder zwei getrennte Einheiten oder ein größeres Ganzes ohne innere Teilung bilden.


Illustration aus „A Pattern Language“
Illustration aus „A Pattern Language“


In der Zeichnung links gibt es eine scharfe Trennung, der Gegenstand und sein Äußeres sind verschiedene Einheiten —sie funktionieren als einzelne Ganzheiten, aber nicht als ein gemeinsames größeres Ganzes. In diesem Fall ist die Welt gespalten. In der Zeichnung rechts gibt es einen nicht eindeutig zuweisbaren Raum dazwischen, die zwei Einheiten sind zwar wie zuvor einzelne Ganzheiten, bilden zusammen aber auch ein größeres Ganzes. In diesem Fall ist die Welt ein Ganzes.


Dieses Prinzip zieht sich durch das gesamte materielle Universum, von den größten organischen Strukturen unserer Umwelt bis hin zu den Atomen und Molekülen.


Extreme Beispiele der Anwendung dieses Prinzips finden sich in den endlosen Oberflächen von Gegenständen des „finsteren" Mittelalters und in türkischen und persischen Teppichen und Fliesen. Lasst man die tiefere Bedeutung dieser „Ornamente" einmal außer acht, bleibt die Tatsache bestehen, dass sie hauptsächlich so funktionieren: Sie schaffen Flächen, in denen jeder Teil zugleich Figur und Begrenzung darstellt; die Zeichnung wirkt auf mehreren verschiedenen Ebenen gleichzeitig als Figur und als Begrenzung.


Illustration aus „A Pattern Language“
Illustration aus „A Pattern Language“


Dieser alte Teppich ist in höchstem Grade ein Ganzes, weil kein Teil aus seiner Umgebung herausgelöst werden kann — jeder Teil wirkt auf verschiedenen Ebenen als Figur und Begrenzung.


Der Hauptzweck des Ornaments in der Umwelt — in Gebäuden, Zimmern und öffentlichen Räumen — liegt darin, die Welt mehr zu einem Ganzen zu machen, indem ihre einzelnen Teile genauso wie bei diesem Teppich miteinander verknüpft werden.


Wenn die Muster in dieser Sprache richtig angewendet werden, entstehen diese verbindenden Grenzen bereits ohne Zuhilfenahme von Ornamenten in nahezu allen Maßstäben, wo sie von den Räumen und Baustoffen her notwendig sind. So zum Beispiel bei den großen Räumen wie der Zone vor dem Eingang oder der Gebäudekante. Und natürlich auch ganz von selbst bei den kleineren Strukturen, die in den Baustoffen selbst auftreten — in den Fasern des Holzes, im Korn von Ziegeln und Steinen. Es gibt aber einen dazwischenliegenden Maßstabsbereich, eine Zwielichtzone, wo diese Verknüpfung nicht von allein entsteht.


Genau diesen Maßstabsbereich füllt das Ornament aus


Was die speziellen Formen der Ausführung betrifft, gibt es natürlich Hunderte Möglichkeiten. Bei dieser Balustrade besteht das Ornament ausschließlich aus der Begrenzung, aus dem Raum zwischen den Brettern. Die Bretter sind so zugeschnitten, daß sie dort, wo sie aufeinanderstoßen, aus dem dazwischenliegenden Raum etwas machen.


Eine Balustrade
Eine Balustrade
Eine Balustrade


Hier ist ein komplizierteres Beispiel - der Eingang zu einer romanischen Kirche.


Illustration aus „A Pattern Language“
Illustration aus „A Pattern Language“


Das Ornament ist um den Rand des Eingangs herum angelegt. Es schafft eine Nahtstelle zwischen dem Eingangsraum und dem Stein. Ohne das Ornament gäbe es zwischen dem Torbogen und dem Durchgang selbst eine Lücke: Das Ornament bewirkt eine Verbindung und hält sie zusammen. Diese Stelle ist besonders reich und kunstvoll verziert, weil diese Nahtstelle - die Grenze von Eingang und Kirche - symbolisch so wichtig für die Menschen ist, die dort beten.


Tatsächlich ist Ornament an Türen und Fenstern immer wichtig, weil es sich dabei um Verbindungsstellen zwischen den Gebäudeteilen und dem Leben im Inneren und außen herum handelt. An den Rändern von Türen und Fenstern findet man mit großer Wahrscheinlichkeit das meiste Ornament, weil die Menschen diese Ränder gern mit den Räumen um sie herum verbinden.


Illustration aus „A Pattern Language“
Illustration aus „A Pattern Language“


Und genau das gleiche trifft auch auf Hunderte andere Stellen in der Umgebung zu; in Räumen, rund um unsere Häuser, in der Küche, auf der Wand, entlang des Belags eines Weges, auf Dächern, um einen Pfeiler herum — also eigentlich überall, wo es zwischen zwei Dingen Ränder gibt, die nicht richtig miteinander verwoben sind, wo Baustoffe oder Dinge aufeinander stoßen und von verschiedener Beschaffenheit sind.


Frühe amerikanische Schablonenmalerei.
Frühe amerikanische Schablonenmalerei.
Frühe amerikanische Schablonenmalerei.


Im allgemeinen geht es bei der Verwendung von Ornament hauptsächlich darum, die bedeutsame Lücke im Kontinuum der Maßstäbe zu erkennen — wo es in dem fortlaufend verknüpften und verbundenen Gewebe einen Bruch gibt. Falsch angewendetes Ornament findet sich immer an Stellen, wo diese Verbindungen eigentlich gegeben sind und das Ornament daher überflüssig und unmotiviert ist. Richtig angewendetes Ornament ist immer an einer Stelle, wo eine echte Lücke vorhanden ist, wo etwas mehr Struktur erforderlich ist, etwas, das wir im übertragenen Sinn „zusätzliche Bindungsenergie" nennen könnten, um die Dinge dort, wo sie zu weit auseinanderklaffen zu verknüpfen.



Daraus folgt:

Such am Gebäude jene Kanten und Übergänge, die stärker hervorgehoben werden sollten oder zusätzliche Bindungsenergie brauchen. Ecken, Stellen, an denen Baustoffe aufeinander treffen, Türrahmen, Fenster, Haupteingänge, zwei aufeinander stoßende Wände, das Gartentor, ein Zaun - all das sind natürliche Stellen für Ornament.


Such einfache Motive und wiederhol einzelne Elemente daraus an den Kanten und Begrenzungen, die hervorgehoben werden sollen. Sorg dafür, dass die Ornamente entlang der Begrenzungen und Kanten als Nahtstellen wirken, sodass die beiden Seiten miteinander verbunden und eine Einheit werden.


Illustration aus „A Pattern Language“
Illustration aus „A Pattern Language“


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Mach das Ornament möglichst noch während des Bauens — nicht danach — und zwar aus den Planken, Brettern, Fliesen und Flächen, aus denen das Gebäude tatsächlich besteht —WANDSCHALE (218), GERAHMTE ÖFFNUNGEN (225), SCHUPPIGE AUSSENHAUT (234), WEICHE INNENWÄNDE (235), WEICHGEBRANNTE FLIESEN UND ZIEGEL (248). Verwend für das Ornament Farbe — WARME FARBEN (250); benutz die kleineren Leisten, die Fugen bedecken, als Ornament — SCHMALE DECKLEISTE (240); und verschönere die Räume selbst mit Dingen aus deinem Leben, die zu natürlichen Ornamenten um dich herum werden — DINGE AUS DEM EIGENEN LEBEN (253)